Stundenbuch des Herzogs von Berry Les Très Riches Heures (15. Jh.)
▶︎ Es war Frühling, als Gott die Welt erschuf - so heißt es bei einem Kirchenvater des Altertums. Dahinter mag kaum theologische Reflexion über die Schöpfung stehen, wohl aber eine zarte Ahnung vom Geheimnis um Mensch und Natur, das besonders im Frühling durchschimmert.
▶︎ Auch jene, die im Menschen nur ein Stück Natur sehen und damit jedes Geheimnis zu beseitigen meinen, werden im Frühling vom "Problem" eingeholt, wenn das Licht immer blendender wird und schon eine schlichte Wiese zur ästhetischen Ekstase einlädt.
▶︎ Anders als die Insekten, die gattungsgemäß auf den Lockruf der Farben und der Düfte antworten, entziehen sich viele der echt menschlichen - geistigen - Antwort durch das verschwommene "Bekenntnis" zu einer unpersönlichen Transzendenz - Natur oder Weltall.
▶︎ Naturbetrachtung wird zu Religionsersatz. Und viele suchen dann das Geheimnisvolle unter der eigenen Erde, in den dunklen Regionen des wirren Unterbewussten. Hier entstehen esoterische Hoffnungen oder wüste Ängste.
▶︎ Bei einem Menschen, der glaubt, fallen Frühling und Pfingsten zusammen - sie sind ineinander verwobene Botschaften. Der Frühling lässt ihn das Sehen als ein wunderbarer Weg nach außen, Pfingsten das Hören als Anfang eines mühsameren Weges nach innen erkennen. Der Geist, der weht, wo er will, bleibt auch im Frühling unsichtbar, aber er ist immer hörbar.
▶︎ Nachdenken über Pfingsten kann helfen, die Aufmerksamkeit nach oben zu richten. Wir erfahren dann vom eigentlichen Geheimnis des Menschen. Es ist das Geheimnis der Gotteskindschaft. Wir glauben an den Heiligen Geist als Gott und Liebesband innerhalb der Dreifaltigkeit und als in uns Wirkenden, der Leben schafft, den Verstand erleuchtet, den Willen stärkt und sogar in den Sinnen ein Licht "anzündet". Wir bekennen ihn als jenen, der uns sagen lässt: "Abba, Vater" - eine "neue Schöpfung" in uns.
▶︎ Christus nennt den Heiligen Geist den Geist der Wahrheit - er ist Wahrheit und Klarheit. In der Kraft seines Wirkens behält der christliche Glauben die starken Konturen, trotz der wechselnden Strömungen der Zeit: Ja zu Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes und nicht bloß "der gute Mensch von Nazaret"; Ja zum dreifaltigen Gott, nicht als "bildhafter Ausdruck der Transzendenz", sondern als unerschöpfliche Fülle eines Lebens, zu der der Mensch gerufen ist; Ja zur Kirche, nicht als Schlachtfeld zwischen "Guten" und "Bösen", sondern als "komplexe Wirklichkeit" - so das Konzil - vom Göttlichen und Menschliche - und als Mutter liebenswert. Und ja zu einer Moral, die die innere Wahrheit des Menschen ernster nimmt als die äußeren Reize der Zeiten und deshalb fordert, Farbe zu bekennen, Schuld einzugestehen, das mühsame Gute zu erstreben, das Versagen mit Blick auf die Barmherzigkeit Gottes in Kauf zu nehmen.
▶︎ Vor allem: Ja zum Leben aus dem Geist. Mit einem Wort des hl. Josemaria: Der Heilige Geist will mit seinen Eingebungen unseren Gedanken, Werken und Wünschen einen übernatürlichen Ton verleihen. Er treibt uns dazu an, die Lehre Christi zu bejahen und uns zutiefst anzueignen, Er erleuchtet uns, damit wir uns unserer persönlichen Berufung bewußt werden, und stärkt uns, damit wir tun, was Gott von uns erwartet. Wenn wir dem Heiligen Geist gegenüber fügsam sind, wird das Bild Christi in uns immer deutlicher Gestalt annehmen, und dann werden wir Gott dem Vater jeden Tag näher kommen. Alle, die sich vom Geiste Gottes leiten lassen, die sind Söhne Gottes.
▶︎ Wenn wir uns von dem in uns wohnenden Lebenshauch, dem Heiligen Geist, leiten lassen, wird unser geistliches Leben immer weiter wachsen; wir werden uns dann der Hand Gottes, unseres Vaters, mit der Spontaneität und dem Vertrauen eines Kindes überlassen, das sich in die Arme seines Vaters wirft. Wenn ihr nicht wie die Kinder werdet, so werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen, sagt der Herr. Dies ist der alte und doch immer aktuelle innere Weg der geistlichen Kindschaft, er ist weder kindisch noch unreif, sondern vielmehr Weg der übernatürlichen Mündigkeit, der uns zur Herrlichkeit der göttlichen Liebe führt, uns unsere Niedrigkeit anerkennen läßt und unseren Willen mit dem Willen Gottes gleichförmig macht. (Josemaría Escrivá, Christus begegnen 135)
▶︎ Fünfzig Tage nach Ostern werden den Jüngern die Regungen des Frühlings wahrscheinlich entgangen sein, denn ihr Blick war ganz nach innen und nach oben gerichtet. Sie wagen es nicht mehr, sich den verheißenen Geist vorzustellen, sie erbeten ihn und erfahren ihn als Feuer und Sturmwind.
▶︎ Sie fangen dann an, Gott in Jesus zu verkünden - menschgeworden, gestorben, auferstanden, verherrlicht. Damit beginnt die Kirche zu blühen - im Frühling. Vielleicht hat Gott die Welt nicht im Frühling erschaffen - aber zumindest hat er im Frühling die Kirche sichtbar werden lassen.